Farge-Vegesacker Eisenbahn

Beiträge zur Geschichte von Klein- oder Privatbahnen
harfe
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Re: Farge-Vegesacker Eisenbahn 3. Teil

Beitrag von harfe »

.... und hier das 2. Häppchen

Es wurde also ruhig auf dem Bahnhof Farge - keine Lok war mehr unterwegs, der Fahrdienstleiter beendete seinen Dienst - er war aber auch schon seit 03:45 h morgens aktiv. Der Vorsteher widmete sich seinen Tätigkeiten und ich erledigte die Statistik, die die beiden in den vorangegangenen Tagen nicht schafften - offensichtlich zu schnell, denn der Vorsteher war etwas erschrocken, als ich ihm um 12:30 h vermeldete, daß ich meine Aufgabe erledigt hätte.
Er schlug vor, daß ich noch mal zum Bw gehen sollte, um mir dort die Örtlichkeiten anzusehen, für mich als zukünftigen Eisenbahner (er sagte das mit einem Augenzwinkern, obwohl er wusste, daß ich eine Lehrstelle als Seehafenspeditionskaufmann ab dem 01.08.1982 in der Tasche hatte) sei das wohl interessant. Ich tat das gerne, der Vorsteher Guddat meldete mich im Bw an und ich machte mich auf den Weg.
Es war das erste mal, daß mich mein Weg zum Bw führte. Zunächst ging es einen "schwarzen Weg" entlang dem Hauptgleis zum Bü Pötjerweg, dort an den Bahnwohnungen vorbei zum ehemaligen Triebwagenschuppen. Seinerzeit war dort ein Möbellager (Möbel-Spieker) eingerichtet - was ist dort heute?. Zwischen Triebwagenschuppen und alter Werkstatt ging die Zufahrt zum rückwärtigen Eingang zum neuen Lokschuppen.
Durch einen Flur betrat ich den Sozialraum, wo die Lokführer gerade ihre Abschlussbesprechung hielten und rauchten. Ich meldete mich beim Bw-Vorsteher, Herrn Hinrich Ohmstedt. Der war schon durch seinen Kollegen vom Bahnhof informiert und führte mich dann durch die Hallen. Im Bw waren abgestellt die V 161 und 162, an einer wurde etwas gearbeitet, die Vorbauschiebetüren zum Motor waren geöffnet. Die V 62 war soeben aus Leeste eingetroffen, auch hier waren die Vorbauschiebetüren geöffnet und irgendwas wurde gearbeitet. Die V 201 stand groß und wuchtig vor der V 62.
Dann ging es in die alte Werkstatt, diese war noch mit Flügeltüren ausgestattet die sehr schwer zu öffnen waren.
Hier warteten der Heizwagen sowie als absolutes Kleinod der Bereisungswagen auf mich, dazu war der Schuppen noch vollgestellt mit viel Gerät, was wohl zur Eisenbahn gehörte. Im hinteren Teil war noch ein Hilfswagen abgestellt.
Draußen vor dem Schuppen war noch ein Flachwagen und ein Niederbordwagen abgestellt, alle noch in Betrieb und nicht abgestellt bzw. z-gestellt.
Ich durfte nach Herzenslust für 1 Stunde zwischen den Fahrzeugen herumstromern.
Zum Heizwagen ist noch zu sagen, daß dieser Wagen ein Dieselaggregat besaß, welches die Personenwagen für Militärtransporte, die recht oft stattfanden, elektrisch beheizen konnte. Angeschrieben bzw. mit einer Merktafel war noch hingewiesen, daß keinesfalls DB- Lok und Heizwagen gleichzeitig an die Heizleitung angeschlossen sein durften, sonst gab es wohl großes Malheur.

Ich ging, nachdem ich mich vom netten Werkstättenvorsteher verabschiedet habe, zurück zum Bahnhof Farge, um mich dort in der Betriebsleitung zu melden. Ich hatte noch ein Gespräch mit dem Vertreter des Betriebsleiters wegen diverser Dinge.
Schon im ersten Teil meines Berichtes hatte ich angemerkt, daß dort 4 Personen arbeiteten. Sie taten dies im vorderen Teil des Verwaltungsgebäudes im Erdgeschoß, im 1. Stock wohnte der Betriebsleiter sowie einer der Zugführer.
Wenn man eintrat, war links das Büro der Sekretärin vom Betriebsleiter, dahinter das Betriebsleiterbüro. Rechts das Büro des Vertreters und Personalsachbearbeiters, dahinter das Büro einer weiteren Sachbearbeiterin und ein Aktenraum mit einem Nasskopierer, dann der Durchgang zum Bahnhof (mit Wartesaal, Fahrkartenschalter mit Drehteller - wie in den 50er Jahren!).
Richtig zu tun hatte die Sekretärin: die musste alle dienstlichen Anordnungen und Fahrplanmitteilungen schreiben.
Computer gab es noch nicht, es wurde alles per Maschine im Durchschreibe- oder Ormig-Verfahren geschrieben. Fahrplanmitteilungen kamen auf rosa Papier heraus. Sie waren immer notwendig, wenn Einlegungen für Sondertransporte (z.B. Militär) notwendig wurden.
Die Dienststellen wurden angewiesen, was getan werden musste und welche Betriebsstellen besetzt zu halten waren.
Blumenthal war meistens durchgeschaltet, wenn die Züge am Wochenende fuhren, Rönnebeck auch. Farge war auch nicht besetzt, es musste nur der Fahrweg vom Bw eingestellt sein, die Weiche legte der Zugführer dann vom Stellwerk aus zurück in Richtung Farge-Ost.
Farge-Ost war von der Dienststelle Farge aus (selten von Blumenthaler Personal) zu besetzen, in Schwanewede gab es dann noch einen kleinen Dienstraum, wo ein Abfertiger eingesetzt war, der meistens von Farger oder Blumenthaler Personal gestellt wurde. Aumund, als Zugleitbahnhof, war immer zu besetzen.
Die Einteilung der Zugbegleitpersonale übernahm Bf Farge, das Bw wurde angewiesen, die Lokführer zu stellen.
Da die Farger Personale jedoch recht locker auf ihre Stunden kamen, wurden oft auch Lokführer aus Leeste angefordert, die entweder weniger Stunden hatten oder gerne Überstunden leisteten. Interne Verrechnung zwischne den DEG-Bahnen machte das möglich! Es sollen auch Lokführer aus Lengerich oder Gütersloh in Farge eingesetzt worden sein.
harfe
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Re: Farge-Vegesacker Eisenbahn 3. Teil

Beitrag von harfe »

.... und nun dann das 3. und letzte Häppchen


Über allen thronte der Betriebsleiter - was der so richtig machte, weiß ich nicht, aber er war ein guter Verteiler der Aufgaben. Damals ein uralter Mann, kurz vor der Pensionierung. Vom Dienstrang her Eisenbahnoberamtsrat, eine Respektperson.
Viel hat der von seinem Ruhestand auch nicht gehabt, ich glaube, er ist kurz nach dem Jubiläum 1988 verstorben.

Ich regelte mit dem Personalsachbearbeiter meine Angelegenheiten, unter anderem ging es darum, daß ich Busfahrkarten für Dienstfahrten zwischen Blumenthal und Farge erhielt. Außerdem eröffnete mir der gute Mann, daß ich, da ich ja einen Kfz-Führerschein hatte, auch einige Male mit dem Expressgut-Bully Touren fahren sollte. Einen Führerschein hatten damals nicht viele Mitarbeiter der FVE: der Fahrdienstleiter Farge war Moped-Fahrer, die Zugführer kamen alle mit dem Fahrrad, von den Vorstehern hatte nur der aus Aumund einen Führerschein und ein Auto - sie waren damals (immerhin 1982) alle noch echte Eisenbahner!

Noch eine Anmerkung zur Telekommunikation bei der FVE:
Die Bahnhöfe hatten einen Postapparat, in Farge war sogar eine Nebenstellenanlage vorhanden, Gespräche über Post kamen nach Dienstschluß in der Verwaltung in den Bahnhof, der dann noch besetzt war.
Der Postapparat war z.B. in Blumenthal auf einem podestartigen Regal, von dem dann jeder "bequem" telefonieren konnte.
Daneben gab es eine bahninterne Telefonanlage, mit der alle Dienststellen, auch das Bw, erreicht werden konnte. Für die fahrdienstlichen Gespräche war noch der Streckenfernsprecher mit Kurbel und Rufzeichen für die Dienststellen vorhanden, der jedoch manchmal schadhaft war, so daß für die Zugmeldungen die bahninterne Anlage genutzt wurde.
Eine Basa-Einrichtung war nicht vorhanden, wenn mit anderen Dienststellen der DB telefoniert werden musste, fuhren die Vorsteher mit dem Omnibus nach Vegesack,um von dort zu telefonieren, dies war preiswerter (dies ist kein Witz, sondern war Tatsache!).

Ab und an rief, z.B. in Blumenthal, "Frankfurt" an, um etwas zu klären.
Das war dann Sache des Vorstehers - nur der durfte mit den Oberen in Frankfurt konferieren - alle Gespräche im Dienstraum verstummten, wenn der mit denen verhandelte. Alles lauschte gespannt, um aus dem Gespräch herauszuhören, um was es ging, und wer als nächstes eingenordet werden würde, weil er/sie etwas falsch gemacht hatte. Frankfurt war die DEG-Verwaltung, von dort wurde u.A. die Verkehrskontrolle erledigt.

Nochmals die Aussage von mir, die FVE war eine funktionierende, familiäre und stolze Eisenbahn.
Trotz fehlender Computer wusste jeder, was zu tun war. Alle waren lange Jahre dabei, z.T. schon nach der Ausbildung, die Fahrdienstleiter und Vorsteher trugen Dienstkleidung, zumindestens Uniformjacken. Die Zugführer, die nicht rangieren mussten, trugen auch Uniformjacken und Dienstmützen. In Blumenthal lag im Stellwerk noch immer eine rote Mütze für den Fahrdienstleiter - das musste wohl so sein.
Man war stolz, bei der FVE zu sein, im Ort waren die Vorsteher "bei der Bahn". Bei der Bevölkerung war man traurig, daß die durchgehenden Züge von Blumenthal nach Bremen Hbf nicht mehr fuhren, das hörte ich auch noch in den 80er Jahren von alten BWK-Mitarbeitern, die das bis Anfang der 60er Jahre noch miterlebt haben.
Ja, das war der 3. Teil meiner Erinnerungen, sie fallen deshalb so umfangreich aus, weil ich bei der FVE am längsten beschäftigt war. Ansonsten war ich ja immer nur 3 - 4 Wochen bei den Bahnen beschäftigt.
Auch deshalb hatte ich auch nach Ende meiner Ferienbeschäftigung noch immer Kontakte zur FVE, zu einigen damaligen Mitarbeitern sogar noch bis heute. Einen Teil des Weges sind wir uns noch mal begegnet, z.B. als ich bei der Wollkämmerei arbeitete, anderen bin ich dann später noch mal begegnet, als ich schon lange bei der Mittelweserbahn begann.
Ich werde versuchen, noch einen 4. Teil zu schreiben und schaue mal, welche Erinnerungen sich noch auftun.

Zur Systematik meiner Erinnerungen: ich schreibe aus dem Gedächtnis, ohne Aufschreibungen (die ich ohnehin nicht geführt habe) zur Hilfe zu nehmen. Deshalb kann es sein, daß einige Daten nicht ganz richtig sind. Das bitte ich zu entschuldigen und freue mich über Anmerkungen von Eisenbahnfreunden, die es besser wissen.
harfe
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Re: Farge-Vegesacker Eisenbahn 4. Teil

Beitrag von harfe »

.... und dann hier das erste Häppchen

In den Teilen 1 - 3 habe ich ich bislang über die Hauptan- und abfuhrgüter sowie die Hauptkunden der Farge-Vegesacker Eisenbahn Stand 1982 berichtet. Außerdem habe ich einige Kollegen etwas intensiver beschrieben, eine Fahrt von Farge nach Vegesack durchgeführt und den Aufbau der Bahnhöfe beschrieben. Ferner habe ich das Kommunikationssystem, die personelle Ausstattung und den Fahrzeugbestand beschrieben.

Heute möchte ich einmal einen normalen Arbeitstag während meiner Tätigkeit als Abfertigungsgehilfe auf dem Bahnhof Bremen-Blumenthal darstellen.

Wie ich schon früher erwähnte, beginnt der Dienst bei einer Eisenbahn immer früh - manchmal auch zu früh für junge Leute meines damaligen Alters, aber was tut man nicht alles, um seinem Hobby nachzugehen und damit auch noch Geld zu verdienen. Ich war jung und brauchte das Geld, denn wir wollten nach der Aushändigung der Abiturzeugnisse einen alten VW-Bus kaufen und damit eine 6-wöchige Tour durch Frankreich, Spanien und Portugal unternehmen. Also, früh morgens um 05:00 h aufstehen, frühstücken, mit dem Fahrrad zum Hbf und ab in den "Schieber" nach Vegesack um 06:13 h, von Vegesack weiter nach Blumenthal mit dem Bus (schon damals fuhr der Bus grundsätzlich immer vor der Nase ab und wartete nicht immer auf die zahlreichen Pendler, die dem verspäteten Zug aus Bremen entströmten.

Im Bf Blumenthal angekommen, schnappte ich mir zunächst ein Bündel von Eingangsfrachtbriefen, um die Stückgutsendungen, die uns heute im Stückgutwaggon erwarteten, vorzuprüfen. Darunter ist die Prüfung der Entfernung, des Frachtsatzes, der Ortsklasse und der Zuschlagfracht zu verstehen. Für Farge-Vegesack musste ausgewiesen sein "Zu 448" und ein Betrag von DM 1,- pro angefangene 100 kg, mindestens jedoch DM 1,-. (ich glaube, es waren 100 kg - sicher bin ich mir nicht). Den Sendungen, die von der DB per Computer abgefertigt und gebucht waren, konnte man einigermaßen trauen, da seinerzeit schon in den Computern eine Plausibilitätsprüfung vorhanden war.
Misstrauen sollte ich den per Hand ausgerechneten Frachtbriefen. Wie alle Frachtrechner und Vorsteher der von mir in den vorangegangenen Jahren besuchten NE war auch Herr Heiland sehr misstrauisch und beäugte argwöhnisch die Frachtbriefe im Eingang, ob die Ortsklasse für die Hausfracht im Empfang und die Zu-Fracht für die NE aus richtig berechnet wurde. Hier
ging es um bares Geld, und da verstand der sonst so arglose Vorsteher keinen Spaß!
Nachdem die Eingangsfrachtbriefe berechnet waren (der Fahrdienstleiter hatte mit der Vorprüfung schon früher angefangen - interessanterweise wurden die Frachtbriefe mit dem ersten Kohlezug von Vegesack nach Farge bis Blumenthal gebracht und dort aus der fahrenden Lok gezielt abgeworfen), konnte erst einmal Kaffee getrunken werden, es sei denn, der Nahgüterzug traf ein, was jedoch immer bis gegen 08:30 h dauerte, da erst noch in Aumund-Vulkan bedient wurde.
Endlich traf die Lok mit dem Stückgutwagen der DB und dem FVE-eigenen Vulkan-Pendelwagen ein.

Nun begann der Bahnhof zu leben, zunächst verzog sich der Fahrdienstleiter in sein Stellwerk, der Nahgüterzug fuhr entweder im Hauptgleis oder im Kreuzungsgleis ein, dort setzte die Lok um und stellte die Stückgutwagen am Güterboden zu (die Anforderung des Rangierers war "und die 3 zum Boden" - der Fdl antwortete "und die 3 liegt am Boden"). Nachdem das getan war, wurden die für die Bremer Woll-Kämmerei (BWK) - im Bahnjargon war das jedoch immer nur die "Kämmerei" bestimmten Waggons in deren Übergabebahnhof zugestellt. Dazu musste die stark befahrene Landrat-Christians-Straße überquert werden, welche zunächst mit einer Lichtzeichenanlage, die ortsbedient war, gesichert wurde, zuvor musste auch das alte schmiedeeiserne Werktor aufgeschlossen werden. Das war eigentlich immer Sache des Fahrdienstleiters, der jedoch das immer gerne an den Zugführer delegierte.
harfe
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Re: Farge-Vegesacker Eisenbahn

Beitrag von harfe »

.... 2. Häppchen....

Dann konnten die Fc-Wagen mit Kohle für das BWK-eigene Kraftwerk zugestellt werden sowie die Waggons mit Rohwolle aus deutschen Landen (schon damals eher selten) oder mit Chemie-Rohfaser von den chemischen Werken (auch eher selten) wurden zugestellt, dazu kam noch ab und an ein Waggon mit Schwefelsäure für die Wäscherei der BWK.
Einige leere Gbs-Waggons für den Versand der BWK wurden ebenfalls mit überstellt. Hierin wurde meistens Fassware (Lanolin / Wollwachs) verladen. Empfänger war die chemisch / kosmetische Industrie.

Aber jetzt zurück in den Bahnhof, die Zeit körperlicher Ertüchtigung nahte:
Der Güterschuppen des Bahnhofes Blumenthal war ein langer, schmaler Bau mit 4 Toren, so daß maximal 4 Güterwaggons ent-/oder beladen werden konnten. Das war aber zu der Zeit, als ich in Blumenthal weilte, nie der Fall. Am Ende des Schuppens war ein Wasserturm eingebaut, der dem ganzen eine besondere architektonische Note gab.
In der hintersten Ecke des Schuppens, im Bereich des Wasserturmes war der Gabelstapler geparkt, ein älteres Still-Modell mit Akkumulatoren, die dort immer aufgeladen wurden. ER wurde nun betriebsklar gemacht und los ging es: die Türen des Eingangswaggons wurden geöffnet, eine Handlampe in den Waggon gehängt (ansonsten war es dort nämlich finster wie im Kohlenkeller) und eine Holzkiste auf Palette mit langer, vorgebauter Arbeitsfläche (die sogenannte "Bütt") am offenen Tor aufgestellt. Hinein kam die Dame von der Güterkasse, die die Frachtbriefe auf die Arbeitsfläche drapierte und wartete was nun kam. Die Männer bewaffneten sich mit Sackkarre, Ameise oder per Hand wurden die Sendungen aus dem Waggon ausgeladen und der "Bütt" wurde zugerufen, was ausgeladen wurde. Die Kollegin forschte nach den zu der Sendung gehörenden Frachtbriefen, prüfte, ob Selbstabholer, Spedition oder überzählig, rief das Ergebnis dem Auslader zu und hakte die Sendung auf dem Frachtbrief ab. War die Sendung vollzählig, konnte der Frachtbrief weggestapelt werden. Der Auslader brachte die Sendung zur entsprechenden Ecke im Güterschuppen und ging zurück zum Waggon, um das nächste Stück auszuladen.
Und so ging das weiter bis ca. 09:30 h, alle machten mit, denn die Kunden sollten schnell bedient werden. Es mussten ja auch noch die für den Bremer Vulkan bestimmten Sendungen ausgeladen und in den Pendelwaggon umgeladen werden. (Diese Sendungen wurden übrigens nicht in Blumenthal berechnet und gebucht, sondern durch den Bahnhof Aumund gebucht - man war damals offensichtlich schon profit-center- und umsatzorientiert).

Nachdem alle Sendungen ausgeladen, geprüft und verglichen wurden, wurden die für den Vulkan bestimmten Sendungen in den Pendelwagen verladen, die für die Woll-Kämmerei bestimmten Sendungen wurden wieder in den Eingangswaggon eingeladen. Der Kämmerei-Waggon wurde nun noch schnell der Kämmerei überstellt (anschließend dann die tel. Meldung an den Meister Bahn der Kämmerei, damit dieser mit seiner Lok den Waggon auch noch abholte), die Lok der FVE verschwand dann schnell mit dem Pendelwaggon zurück zum Vulkan, um dort den Waggon der Vulkan-Werksbahn zuzustellen.

Jetzt wurde es auf dem Bahnhof ruhiger, ich erwähnte oben, daß beim Ausladen alle mitmachten, und das war nicht gelogen:
- Kassenangestellte in der Bütt
- Bahnhofsarbeiter auf dem Stapler
- Abfertigungsgehilfe an der Ameise/Sackkarre oder als "Fußgänger"
- Azubi ebenfalls
- Vorsteher (vorschriftsmäßig im hellblau-grauen Drillichkittel, Schutzhelm auf und Sicherheitsschuhe an) stand meist im Weg, packte aber auch mit an - ich wunderte mich damals, daß es überhaupt Sicherheitsschuhe in seiner Größe gab, ich glaube, er hatte Größe 48, und den Schutzhelm trug er, weil er sich immer am eingezogenen Dachrahmen des Güterwaggons den Kopf stieß - seine Körpergröße war - gleich meiner - über 190 cm!

Man konnte an ein Frühstück denken, wenn diese löbliche Tätigkeit nicht dadurch unterbrochen wurde, daß ein Selbstabholer Stückgut einforderte oder der Spediteur eintraf, um die für ihn bestimmten Sendungen abzuholen.
Ich sah unterdessen dem Fahrdienstleiter bei der Arbeit zu - während der Zeit, in der der Nahgüterzug in Blumenthal weilte, um Stückgut auszuladen, rollte mindestens ein Vollzug von Vegesack und ein Leerzug von Farge durch den Bahnhof. Der Nahgüterzug war dann im Bodengleis oder im Kreuzungsgleis hinterstellt, die schweren Kohlezüge fuhren durch Gleis 1.
Die Besatzung des Nahgüterzuges nahm währenddessen im Bahnhofsgebäude Frühstück zu sich, dem "uralten" Hauptzugführer wurde von der Putzfrau des Bahnhofes ein Tee bereitet, der Rangierer half mit beim Stückgut ausladen, der Lokführer blieb meistens auf der Lok und betrieb "Augenpflege".
harfe
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Re: Farge-Vegesacker Eisenbahn

Beitrag von harfe »

... 3. Häppchen

Am Vormittag war ich, nach 1-2 Wochen Einarbeitungszeit, meistens angefordert durch den Bahnhof Farge, um von dort aus mit einem VW-Bully Expressgut in Vegesack bei der Bundesbahn abzuholen, Dienstpost auszutauschen und das Expressgut den Bahnhöfen Aumund, Blumenthal und Farge zuzustellen und dabei auch Dienstpost zuzustellen oder abzuholen.
Die DB-eigenen EDS-Tüten wurden wie selbstverständlich auch bei der FVE verwendet.
Am frühen Nachmittag war ich von diesen Touren meistens zurück und fand mich wieder im Bahnhof Blumenthal ein.
Der Vorsteher war inzwischen zur Mittagspause die Treppe nach oben gestiegen, die Güterkasse war verwaist, der Fahrdienstleiter der Frühschicht schon gegangen und der Fahrdienstleiter der Spätschicht gerade erst eingetroffen.
Von der BWK wurde angefragt, welche Waggons im Ausgang zu erwarten seien, dann wurden die Waggonzettel angefertigt und ich ging gegen 13:00 h in den Anschluß der Kämmerei, um die Waggons zu bezetteln.
Kohle-Waggons bekamen einen schmalen Leerwagenzettel nach Dickscheheide oder Walsum, Gs-/Gbs-Waggons mit Fassware (Lanolin) gingen meistens nach Hamburg oder Düsseldorf, manchmal auch nach Ungarn, dann kamen viele bunte Zettel in die Zettelkästen.
Die leeren Waggons, die Zellstoff oder Rohwolle heranbrachten gingen meistens nach Bremen Rbf zurück.
Bei den Fc-Waggons mussten alle Schieber in die Entladen-Stellung gebracht werden, damit Ladungsrückstände restlos aus den Waggons verschwanden und kein evtl. Wasser in den Waggons stehenblieb.
Bremstechnisch wurden die Waggons durch den Rangierer in die "Leer-Stellung" gebracht, obwohl ich dies auch noch geschafft hätte, aber das traute man mir offensichtlich nicht zu.
Mit meiner Wagenliste kam ich dann nach ca. 45 min zurück zum Fahrdienstleiter, inzwischen war der Meister Bahn der BWK, ein netter, älterer Herr, der mit dem Vorsteher des Bahnhofes befreundet war, mit den Ausgangsfrachtbriefen gekommen, man schnackte kurz und er entschwand in den Feierabend.
Der Fahrdienstleiter berechnete die Frachten für die Ausgangssendungen, inzwischen war ich damit beschäftigt, Versandstücke von Kunden am Güterschuppen anzunehmen, zu verwiegen und vorzuprüfen.

Seinerzeit gab es übrigens eine ganze Menge Gastarbeiter aus Griechenland, die aus irgendwelchen Gründen zurück nach Griechenland zogen. Sie waren meist bei der BWK angestellt und wollten zurück in die Heimat. Sie zogen per Bahn um - dies ist kein Witz: man konnte einen gesamten Hausstand in Bahnbehälter einladen, mit Holzwollen transportsicher verladen und in Stückgutwaggons einladen. Im Bestimmungsland wurden diese rollbaren Behälter einfach dem Empfänger zugestellt. Eine tolle Sache, schon damals - ich fand das faszinierend.

Gegen 14:30 kam die Lok der Nachmittagsschicht mit einem Kesselwagenzug von Rönnebeck, brachte diesen, Blumenthal durcheilend, nach Vegesack und kam Lz zurück. Aus dem Anschluß BWK wurden die Wagen abgezogen, der Stückgutwaggon kam wieder an den Schuppen, Ausgangsstückgut der BWK wurde anhand der abgegebenen Frachtbriefe auf Vollzähligkeit überprüft und das bahneigene Stückgut in diesen Waggon verladen.
Inzwischen fuhr die Lok zum Anschluß Aumund-Vulkan, um von dort die Ausgangswaggons abzuholen.
Wenn Stückgut des Vulkan im Ausgang war, musste auch dieses noch umgeladen werden.
Gegen 16:00 h war für mich der Arbeitstag zu Ende, manchmal konnte ich mit dem Nahgüterzug bis Vegesack fahren und dort in den Wendezug nach Bremen Hbf einsteigen, dem Feierabend entgegen.
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