Wie ich den letzten Dampfbetrieb in Bremen stillegte....

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harfe
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Registriert: Mi 14. Mai 2008, 17:22

Wie ich den letzten Dampfbetrieb in Bremen stillegte....

Beitrag von harfe »

Hallo zusammen,

heute mal wieder etwas "von früher" - nicht über eine aktuellle Bahn - aber es korrespondiert mit dem, was ich über die FVE in den Beiträgen früher schrieb:

Die Überschrift lautet: "Wie ich den letzten Dampfbetrieb in Bremen stillegte". Sicherlich habe ich Euch da alle auf eine falsche Fährte gelockt, aber, soviel habe ich in der Zwischenzeit gelernt, die Headline lockt doch einige an. Und Dampf, stillegen und Bremen ziehen doch hoffentlich einige Leser an.

Wie ich bereits vor einiger Zeit berichtete, habe ich noch während der Schulausbildung einige Praktika bei verschiedenen Eisenbahnen in Deutschland abgeleistet. Nach der Schulausbildung habe ich jedoch den Beruf des Seehafenspeditionskaufmannes gelernt. Mein Vater, ein Bundesbahnbeamter, sagte damals: "Jung, lern was anständiges, Eisenbahner kannst Du immer noch werden!" Er hatte soooo recht und hat leider nicht mehr miterlebt, wie ich im Jahre 2000 dann doch Eisenbahner (aber nicht bei der DB ) wurde.
Nach dem Erlernen des ehrbaren Kaufmannsberufes verbrachte ich einige Zeit im Ausland und begann dann am 01.07.1988 eine Tätigkeit bei der Bremer Woll-Kämmerei AG (BWK) in Bremen-Blumenthal.
Diesen Betrieb kannte ich nun schon durch meine Ferienjobtätigkeit bei der Farge-Vegesacker Eisenbahn GmbH sowie dadurch, daß die Produkte der BWK u.A. durch meinen Ausbildungsbetrieb weltweit versandt und empfangen wurden.
So ergab es sich, daß ich dort im Rahmen einer Nachfolgeregelung eintreten konnte und nach einiger Zeit die Leitung der dortigen Transport- und Logistikaktivitäten übernahm.
Die BWK war (und ist es heute auch noch, aber in sehr viel geringerem Umfange) ein großer textiler Industriebetrieb. Jährlich wurde die rohe Schafwolle von ca. 100.000 to verarbeitet. Das ergab einen Output von ca. 55.000 to Kammzug (dem veredelten Produkt), dazu kamen noch die "Anfallprodukte" Kämmling und Wollwachs. Weiterhin wurden dort auch synthetische Fasern veredelt - ein Umfang von ca. 20.000 to im Ein- und Ausgang.
Als ich dort anfing, arbeiteten dort noch 1.200 Beschäftigte. Als ein Industrieunternehmen, das was auf sich hielt, unterhielt die BWK eine eigene Werkseisenbahn, die das eigene Kraftwerk mit Steinkohle versorgte und auch sonstige Bahntransporte vom Übergabebahnhof Blumenthal abholte und im Werk verteilte.
Den Bahnbetrieb verrichteten 2 Dampfspeicherlokomotiven. Eine ältere, kleinere, gebaut von Borsig (zunächst - 1988 - ca. 1994) sah die immer etwas "Waschzubermäßig" aus: grünes Führerhaus, roter Rahmen und zinkfarbene Kesselverkleidung. (die Lok wurde später an ein westf. Industriemuseum zur Textilindustrie in Gronau (???) abgegeben)
Die andere Lok - etwas jünger - gebaut von Jung war zunächst gelb, später orange und wesentlich kräftiger. (die Lok wurde später an die Spedition Schimmler im Bremer Industriehafen abgegeben, stand/steht(???) dort noch als Denkmal)
Beide Loks waren zweiachsig, hatten nur eine Wurfhebelbremse und wurden durch das werkeigene Kraftwerk mit Dampf versorgt. Eine eigentlich günstige Angelegenheit - sollte man meinen-.

Nun, die Werkbahn fuhr jeden Tag von Montag bis Freitag munter von morgens 06:30 bis ca. 13:30 hin und her, holte Fc-Waggons mit Kohle für das Kraftwerk, manchmal ein paar G-Waggons mit synth. Rohfaser zur Weiterverarbeitung; leere G-Waggons für den Versand von Wollwachsfässern; es kam z.T. deutsche Rohwolle aus Dithmarschen und Paderborn in G-Waggons.
Versand per Bahn fand so gut wie gar nicht statt, da mein Amtsvorgänger dort eine ausgesprochene Affinität zum Straßentransport hatte.

Nun, keiner machte sich Sorgen, keiner machte sich Gedanken, alles lief wie immer, nur ich wollte was anderes. Ich wollte auch wieder Güter auf die Schiene bringen, weil ich davon überzeugt war, daß dies auch in den 90er Jahren ökologisch sinnvoll und ökonomisch effizient ist.

Viel hatten die Werkeisenbahner nicht zu tun, immerhin wurde ein ganzer Apparat vorgehalten: 1 Meister (der auch selber fuhr, ansonsten die "Verwaltung" hatte), 1 Lokführer (wurde vertreten durch den Meister und vertrat auch diesen im Urlaub) sowie 1 - 2 "Rangierer" (meistens junge Staplerfahrer, die irgendwas kaputt gemacht hatten und "strafversetzt" waren).
Täglich von Dienstag - Donnerstag mussten 5 Waggons Kohle vom Übergabebahnhof geholt werden und im Kohlebunker entladen werden. Meistens wurde direkt "in die Feuerung" entladen und der Bunker nicht über Elevatoren beschickt.
Montags und Freitags sowie vor/nach Feiertagen gab es dann Doppelsendungen zur Herstellung der Versorgungssicherheit.
Jährlich wurden ca. 30.000 Kohle verfeuert. Dazu kamen dann noch die sporadischen Sendungen, die an den unterschiedlichen Rampen entladebereit gestellt werden mussten.

Meine Überlegung war nach einiger Zeit, ob es nicht auch Sinn machen würde, Rohwolle, die überwiegend per Container aus Australien/Neuseeland, aber auch aus Südafrika und Südamerika angelandet wurde und direkt im Container nach Bremen-Blumenthal per LKW geliefert wurde, per Eisenbahn zur BWK zu leiten.
Ich wusste, daß die Sendungen aus Hamburg (Hamburg war damals "der" Hafen für die Austral-/Neuseelandfahrt, wogegeben Bremerhaven mehr in der Amerikafahrt und nach/von Südafrika aktiv war) per Zug nach Bremen-Grolland fuhren um dort vom Eisenbahnwaggon bei Roland-Umschlag auf den Truck umgeschlagen zu werden.
harfe
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Re: Wie ich den letzten Dampfbetrieb in Bremen stillegte....

Beitrag von harfe »

.... und hier der 2. und letzte Teil:

Gedacht, getan - es begannen Gespräche mit den Reedereien. Mein Ansatzpunkt war, daß ein Umschlag eingespart werden würde und wenn der Zug "sowieso" unterwegs sei, würde es keinen Unterschied machen, ob er nun nach Bremen-Vegesack (Übergang zur FVE) oder Bremen-Grolland fahren würde.
"Aufschrei der Entrüstung" bei: den beteiligten Reedereien, der Umschlaggesellschaft, den Containertruckern und bei der DB!!!!!!!
Ich würde ja historisch bedingte "Interdependenzen" aufbrechen und überhaupt eine Revolution anzetteln. Und das mit den gesparten Kosten, das stimme ja alles gar nicht, überhaupt wäre es viel teurer usw. usw. usw.
Ich erspare Euch allen die Anfeindungen und Kommentare - ich war damals noch jung und bereit und willens, dicke Bretter zu bohren, das war nämlich auch dringend notwendig.
Solche verkrusteten, tradierten Strukturen könnt Ihr Euch nicht vorstellen! Aber sie waren so, glaubt mir bitte.
Nun denn, ich hatte, gottseidank, den Rückhalt der Unternehmensleitung der BWK. Die Menge von Rohwolle, die die BWK verarbeitete, war für die Reedereien kein Pappenstiel, so daß wir die Reedereien als erstes mit im Boot hatten, mit uns zusammenzuarbeiten. Die FVE und ihr Kundenberater im fernen Frankfurt, den ich noch aus meiner Zeit aus 1982 in Bremen-Blumenthal kannte, war sowieso ein starker Verbündeter für uns.
So, nun ging es bloß noch darum, ein eigenes Containerumschlaggerät für die BWK zu beschaffen, was auch noch gelang.
Die BWK hielt für das Absetzen der Container vom LKW-Chassis einen kleinen Portalstapler vor, der für das Ab- und Aufsetzen auf Waggons nicht geeignet war. Glückliche Fügung war, das ein Belotti-Stapler mit Spreader bei einem Umschlagbetrieb in Bremen damals gerade überzählig war, so daß dieser beschafft wurde und die Umschlaggeschwindigkeit für die BWK steigerte. Zudem konnte dieser Stapler auch bis zu 4 leere Boxen hoch stapeln, was den Platzbedarf der BWK minimierte.
Der weitere Vorteil der Bahnanfuhr, den ich mir zusammen mit meinen Kollegen für die BWK ausmalte, war, daß die Anfuhr der Container konzentrierter und "auf einen Schlag" erfolgte.
So trat es auch ein, zunächst wurden ein paar Versuchszüge gefahren, die unsere Überlegungen bestätigten.
Die Umschlaggeschwindigkeit steigerte sich, die Arbeitsabläufe wurden effizienter und die internen Kosten, trotz der Investitionen die getätigt wurden, sanken.

Leider ergab sich jetzt das Problem, daß wir so schnell wie möglich ALLE Containersendungen auf den Bahntransport umstellen wollten. So langsam merkten wir dann aber, daß die Lokomotiven, die auf der BWK eingesetzt wurden, mit dieser Aufgabe überfordert waren (die Containerzüge konnten nicht in einem Rutsch in das Werk gezogen werden, fehlende durchgehende Bremse usw.).
Schweren Herzens mussten wir uns dann 1993 von den Dampfspeicherlokomotiven trennen und haben den Anschlußbetrieb in der BWK an die FVE abgegeben. Zunächst setzte die FVE hierfür die Lok 61 ein, später wurde dann ausschließlich hierfür die V 51 gekauft.
Auch die Loks 132/133 (z.T. mit Funkfernsteuerung) und 161/162 kamen in der BWK zum Einsatz, wenn ausschließlich Containerganzzüge in die BWK gefahren wurden.
Alle waren zufrieden, Kosten waren gesenkt, Effizienz gesteigert.
Im Laufe der Zeit kamen dann auch noch Investitionen in den Gleiskörper hinzu und Verbesserungen in den Spurplan (Umsetz-/Abstellmöglichkeiten).
Nur leider waren wir unsere "Museumseisenbahn" los - die Loks wurden abgegeben und sind (so meine ich) auch heute noch erhalten.

Schweren Herzens bin ich damals diesen Weg gegangen, aber es ging halt nicht anders. Ansonsten hätten wir gar keinen Eisenbahnbetrieb mehr gehabt, und das wäre auch nicht in meinem Sinne gewesen.

Heute ist der Schienenverkehr bei der BWK leider schon Geschichte. Es wird noch immer Rohwolle verarbeitet, auch die durchgesetzte Menge ist noch immer fast genauso hoch wie damals, nur ist die Zahl der Mitarbeiter auf unter 500 gesunken (bei gleicher Produktivität). Durch die Verlagerung der Containeranfuhren z.T. nach Bremerhaven, ist es mittlerweile günstiger, die Container wieder per Truck zu fahren. Schienenverkehr in der BWK ist Geschichte. Schade, aber wir haben immerhin bis ca. 1998 etwas bewegt.
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