Kleinbahnen im Krieg

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schilling
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Registriert: Mi 14. Mai 2008, 17:56

Kleinbahnen im Krieg

Beitrag von schilling »

Kleinbahnen im Krieg: Zugegeben ein wenig erfreuliches Thema. Aber es gehört dazu.

Ich möchte hier einen Bericht von der Kleinbahn Delmenhorst-Harpstedt, von "Jan Harpstedt" wiedergeben. Im Rahmen der Herausgabe der ersten Chronik über die DHE sandte mir Horst Behnke, ein ehemaliger Harpstedter, Anfang der 80er Jahre aus Esens die folgende Geschichte zu:
Viele Schülergenerationen, die die Schulen in Delmenhorst besuchten, erinnern sich sicher noch manchmal an "Jan Harpstedt" in guten, aber auch in schlechten Zeiten. Aus den letzteren, den Kriegszeiten, möchte ich einiges berichten.

Am 9. August 1943 wurde ich als 10jähriger Schüler mit sechs weiteren Mitschülerinnen und Mitschülern in die Oberschule in Delmenhorst eingeschult. Infolge der ungünstigen Bahnverbindungen benutzten wir den Zug um 9.27 oder um 11.00 Uhr ab Harpstedt, denn der Schulbeginn war auf 14.00 Uhr festgesetzt. Um 19.30 Uhr waren wir dann wieder zurück. Welch ein langer Tag! Glücklicherweise wurden dann aber bald die Schulstunden auf morgens verlegt. Da hieß es dann jeden Tag früh um 5.30 Uhr aufstehen, denn der Zug fuhr um 6.23 Uhr und erreichte Delmenhorst um 7.14 Uhr. Bei nächtlichem Fliegeralarm war um 8.45 Uhr Unterrichtsbeginn, und wir benutzten dann den Triebwagen um 7.45 Uhr. Für die Rückfahrt konnten wir den Zug um 13.53 Uhr erreichen, der um 14.45 Uhr an unserem Heimatort ankam, vorausgesetzt, dass keine Verspätungen eintraten.

Die Belastungen als Fahrschüler sind uns damals wohl kaum bewusst geworden. Die Fahrzeit vertrieben wir uns mit Kartenspiel, Schularbeiten, die noch nachgeholt werden mussten, oder auch mit Schlafen. Uns machte besonders Spaß, wenn "Jan Harpstedt" an den Obstbäumen vorbeidampfte, die nahe an der Bahnlinie standen, wir uns weit aus dem Fenster beugten und Äpfel, Birnen oder Pflaumen ergattern konnten.

Den Aufenthalt in Kirchseelte nutzten wir, während die alte Lok aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg Wasser tankte, in der Bahnhofswirtschaft Brause zu holen. Bisweilen kam es auch schon vor, dass einige Schüler die Abfahrtzeit verpassten.

Aber der Krieg konnte nicht verdrängt werden. Am 29. November 1943 befanden wir Schüler uns im Zug, der in Groß Mackenstedt hielt. Da erlebten wir den ersten Angriff, indem amerikanische Bomber die Bahnlinie hinter uns bombardierten. Zwischen Groß Ippener und Dünsen wurde dann der Zug mit Bordkanonen von einem Flugzeug beschossen. In unserer Angst verkrochen wir uns unter die Bänke. Zum Glück wurde niemand verletzt und wir kamen noch einmal mit dem Schrecken davon.

Anfang 1944 erfolgte ein weiterer Fliegerangriff auf "Jan Harpstedt". Hierbei kam der Lokführer Christel Lakewand ums Leben und der Eisenbahnbeamte Hasselbusch wurde schwer verwundet.

Die Feindangriffe auf Züge vermehrten sich, aber immer noch fuhren wir nach Delmenhorst zum Unterricht. Bis dann am 22. März 1944 das große Unglück geschah. Ein auf dem Rückflug befindliches Feindflugzeug beschoss kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof Kirchseelte den ab Delmenhorst um 16.54 Uhr fahrenden Schülerzug mit Bordwaffen. Ich selbst befand mich, da Fliegeralarm war, auf der hinteren Plattform des zweiten Waggons, während meine meisten Schulkameraden im ersten Wagen (Schülerwagen) saßen. Das Flugzeug setzte zum ersten Angriff im Tiefflug an, schoss jedoch zu hoch, so dass kein Schaden angerichtet wurde. In dem Augenblick des Angriffs verlangsamte der Zug seine Fahrt. Ich sprang ab und warf mich in eine Ackerfurche, entgegengesetzt der Angriffsseite. Ich sah, wie der Flieger einen zweiten Angriff flog und jetzt aus allen Rohren den zum Stehen gekommenen Zug beschoss. Die Einschläge in meiner Nähe konnte ich verfolgen. Auch andere Mitreisende waren aus dem Zug gesprungen. Das alles war das Werk weniger Minuten.

Was aber war in diesem Augenblick geschehen? Der Schülerwagen war durchlöchert und vier Mitschüler, die nicht herausgesprungen waren, lagen in ihrem Blute. Es war ein grausiger Anblick. Mein Klassenkamerad Hans-Hermann Pestrup war tot, Heinz Hoffmeyer so schwer verwundet, dass ihm später ein Bein amputiert werden musste. Fritz Heyen starb später im Delmenhorster Krankenhaus und Walter Oldenburg erlag einige Wochen später seinen schweren Verletzungen. Die Verwundeten wurden sofort nach dem Angriff mit einem Zug nach Delmenhorst in das Krankenhaus transportiert.

Das war dann auch unsere letzte Fahrt im Kriege mit dem Zug nach Delmenhorst, denn wir - die Jüngsten - wurden von der Schule beurlaubt und erhielten Privatunterricht. Erinnerlich ist mir auch noch, dass der Zug einen Waggon mit einer Flak erhielt zum Schutz gegen Angriffe.

Nach Wiederaufnahme des Schulunterrichts Mitte September 1945 konnten wir wieder mit dem Zug fahren. Allerdings machten wir uns mittags mit dem Rad auf den Weg nach Delmenhorst, da wir Nachmittagsunterricht hatten und zu dieser Zeit kein Zug verkehrte. Abends um 19 Uhr kamen wir dann müde und abgespannt mit "Jan Harpstedt" zurück. Mitte 1946 setzte die Kleinbahn dann einen Triebwagen ein, so dass wir nicht mehr auf das Fahrrad zur Fahrt in die Delmestadt angewiesen waren.
Rüdiger
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DHE_T_148
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Re: Kleinbahnen im Krieg

Beitrag von DHE_T_148 »

War die DHE 353 auch im krieg betreibsfahig.
Hab schon ofter danach gesucht aber nie gefunden.

Grusse DHE T 148
AndreasWagner
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Re: Kleinbahnen im Krieg

Beitrag von AndreasWagner »

Moin, im Kenning-Buch über die DHE ist auf Seite 22 ein Bild der Lok 4 mit verdunkelter Laterne zu sehen, was dafür spricht, das die Lok auch zwischen 1939 und 1945 im Einsatz war. Über größere Reparaturen in dieser Zeit habe ich bisher auch keine Unterlagen gefunden.
AndreasWagner
Beiträge: 12
Registriert: So 28. Dez 2008, 16:50

Re: Kleinbahnen im Krieg

Beitrag von AndreasWagner »

Die Werkstattunterlagen der damaligen KDH berichten zur Lok 4 (später NLEA 353, heute MBS 4) folgendes:

Abgestellt zur Revision am 9.8.37. (Feuerkiste neu genietet, Kesselreparatur/Bleckwerk) 352 Stck kuperne Stehbolzen. 66 Stck Deckenanker. 8 Stck Bodenankerschrauben. 152 neue Heizrohre. Laufprobe am 17.11.38. Inbetriebnahme am 21.11.38.

Abgestellt u. der Werkstatt zugeführt am 16.9.41.
Kesselbesichtigung am 19.12.41. Kesselarbeiten: Feuerkiste am Feuerlochring geschweißt. 12 Stck Nieten und 1 Stehbolzen einz. 152 neue Heizrohre.
Druckprobe am 30.1.42
Laufprobe am 4.9.42 Inbetriebnahme am 5.9.42

Zur Zwischenreparatur abgestellt am 28.12.43
Radreifen erneuert. (Feuerlochring = Schweißung vollständig)

Am 5.9.45 wurde die nächste Zwischenuntersuchung ausgeführt. Die folgende Zwischenuntersuchung wurde "verlängert bis zum 5.12.46". Am 15.6.48 wurde die Lok schließlich der Werkstatt zur Hauptuntersuchung zugeführt, die bis zum 23.4.49 andauerte. Die Kesselarbeiten führte hierbei Henschel & Sohn, Kassel aus.
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